In einem ersten Schritt zu der Erkenntnis, dass Tiere als schützenswert zu betrachten sind, musste ein weitgehender Konsens bezüglich ihrer Leidensfähigkeit erreicht werden, von dem aus eine moralische Berücksichtigung abgeleitet werden konnte. Was für uns heute als selbstverständlich gilt, musste erst einmal historisch erwachsen und sich verfestigen. Pascal Eitler identifiziert den Zeitrahmen dieser Erkenntnis als die Mitte des 18. Jahrhunderts – zu dieser Zeit war die Empfindungsfähigkeit von Tieren bereits größtenteils unbestritten, wenngleich es einzelne Vorreiter gab, die schon früher eine Tierethik forderten.
Nach der Etablierung der Empfindungsfähigkeit der meisten Tiere, erfolgte der nächste Schritt hin zu ihrer moralischen Berücksichtigung gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Mit der Idee der Menschenrechte, die historisch häufig mit den Ereignissen der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) und der Französischen Revolution (1789) in Verbindung gebracht wird, entstand die Vorstellung von Tierrechten, wie sie von Wilhelm Dietler (†1797) und Jeremy Bentham (*1748 – †1832) aufgestellt und festgehalten wurden.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts schließlich wurde die vorherrschende Sichtweise von Menschen und Tieren durch Theorien erschüttert, die beide Gruppen näher aneinanderrücken ließen. Schon die vergleichende Anatomie deutete auf eine Wesensverwandtheit zwischen Menschen und Tieren zumindest ihrer Physiologie nach hin. Besonders die europäische „Entdeckung“ der Menschenaffen erregte großes Aufsehen und stellte bisherige Theorien zu der Trennung von Menschen und Tieren infrage. Schließlich waren es jedoch Charles Darwin (*1809 – †1882) und die Evolutionstheorie, die die bisher herrschende Distanz von Menschen und anderen Tieren am stärksten herausforderten. Mit der Etablierung der evolutionären Verwandtschaft und der Situierung des Menschen als eines von vielen Tieren, wurde die Grundlage geschaffen, von der Ähnlichkeit aus für einen Schutz der Tiere zu argumentieren. Der Darwinismus bildete einen radikalen Gegenpol zu der Stufenordnung, die ich im vorangegangenen Eintrag beschrieben habe – die Tiere waren nun nicht mehr für den Menschen auf der Welt und grundsätzlich andersartig, sondern sie wurden zu Verwandten, denen man Schutz und Zuneigung schuldig war.

Artikel von Simon Kleinert
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Quellen:
1 Eitler, Pascal: „Der ‚Ursprung‘ der Gefühle. Reizbare Menschen und reizbare Tiere“, in: Frevert, Ute u. a. (Hrsg.): Gefühlswissen. Eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt am Main: Campus 2011, S. 93–119. Hier S. 97.
2 Ingensiep, Hans Werner: „Vegetarismus und Tierethik im 18. und 19. Jahrhundert: Wandel der Motive und Argumente der Wegbereiter“, in: Linnemann, Manuela und Claudia Schorcht (Hrsg.): Vegetarismus: Zur Geschichte und Zukunft einer Lebensweise, 2. Aufl., Erlangen: Fischer 2010, S. 73–105. Hier S. 73.
3 Ingensiep, Hans Werner und Heike Baranzke: Das Tier, Grundwissen Philosophie, Stuttgart: Reclam 2008. S. 110.
4 Thomas, Keith: Man and the Natural World: Changing Attitudes in England 1500-1800, London: Penguin 1984. S. 129.
5 Siehe: Hochadel, Oliver: „Darwin im Affenkäfig. Der Tiergarten als Medium der Evolutionstheorie“, in: Brantz, Dorothee und Christof Mauch (Hrsg.): Tierische Geschichte. Die Beziehung von Mensch und Tier in der Kultur der Moderne, Paderborn: Schöningh 2009, S. 245–267.