Historische Entwicklung unserer Gedankenwelt zur Tierethik
Heutzutage wรผrden sicherlich die meisten Menschen der Aussage zustimmen, dass Tiere es wert sind, geschรผtzt zu werden. Schaut man jedoch in die Vergangenheit, zeichnet sich ein anderes Bild. Verschiedene historische Entwicklungen unserer Gedankenwelt mussten stattfinden, bevor wir รผberhaupt in der Lage waren, eine Tierethik zu denken. Diese Entwicklungen und damit die Voraussetzungen der modernen Tierschutzgedanken umreiรe ich in den folgenden Artikeln.
Artikel: Teil 1
Spรคtestens seit der griechischen Antike wurde das europรคische Denken beherrscht von der Vorstellung, dass der Mensch das Zentrum der Welt bildete. Dem Menschen wurde hier eine Sonderstellung auf Erden zugeschrieben, die ihn รผber jede andere organische und anorganische Materie erhob und die nicht zuletzt Einzug in das Christentum fand โ der Mensch als Ebenbild Gottes. Schon in der griechischen Philosophie der Stoa wurde eine Hierarchie festgeschrieben, nach der das โniedereโ immer dem โhรถherenโ dienen sollte. So war das Anorganische dem Organischen untertรคnig, die Pflanzen existierten fรผr die Tiere und die Tiere wiederum waren fรผr den Menschen geschaffen. Und wenn der einzige Existenzgrund fรผr Tiere der war, dem Menschen zu dienen, wieso sollte man sie dann nicht uneingeschrรคnkt nutzen und mit ihnen nach eigenem Ermessen verfahren dรผrfen?
Wenngleich eine solche Weltsicht รผber viele Jahrhunderte weit in den europรคischen Gesellschaften verbreitet war, musste sie dennoch immer wieder argumentativ begrรผndet werden. Schlieรlich konnte die christliche Perspektive auf das Verhรคltnis zwischen Menschen und Tieren auch so ausgelegt werden, dass der Mensch der Hirte der Tierwelt und so fรผr deren Schutz verantwortlich sei. Diese Interpretation blieb allerdings รผber das Mittelalter bis in die Frรผhe Neuzeit die Meinung einer wenig einflussreichen Minderheit. Um den uneingeschrรคnkten menschlichen Zugriff auf Tiere gegen solche Gedanken zu verteidigen und den Status quo zu zementieren, wurden traditionell verschiedene Charakteristika herangezogen. Zu diesen gehรถrten und gehรถren, dass der Mensch im Gegensatz zu den Tieren Vernunft oder eine Seele besรครe, dass er sprechen und schreiben kรถnne, oder dass er in der Lage sei, mit anderen Vertrรคge abzuschlieรen.
In dem Werk des franzรถsischen Philosophen und Naturwissenschaftlers Renรฉ Descartes (1596-1650) kulminierte berรผhmterweise die Idee der รberlegenheit des Menschen. Descartes sprach Tieren ein bewusstes Schmerzempfinden ab und portrรคtierte sie โ im Gegensatz zum Menschen โ als seelenlose Automaten. Der von Descartes geprรคgte, allseits bekannte Satz โIch denke, also bin ich.โ kann dementsprechend auch als Abgrenzung zu den vermeintlich vernunftlosen Tieren gelesen werden. Allerdings lieร die Kritik solcher Positionen nicht mehr lange auf sich warten.
Geschrieben von Autor: Simon Kleinert
Rene Descartes (1596-1650) on engraving from the 1800s. French philosopher, mathematician, physicist and writer. Engraved by W. Holl and published in London by Wm. S. Orr & Co.
Bild Renรฉ Descartes: @georgios – Depositphotos
รber den Autoren:
Doktorand Simon Kleinert, stammt aus Fulda, studierte in Trier Geschichte, Anglistik und Bildungswissenschaften und schloss seinen Master im Jahr 2020 ab. Seit Februar 2021 ist er Doktorand auf dem Gebiet der Sozial- und Kulturgeschichte an der Universitรคt Kassel.
Hier mรถchte er kรผnftig berichten, welche Erkenntnisse es in der Tier-Mensch-Beziehung gibt, insbesondere unter dem Einfluss der Vegetarismus-Bewegung.
Quellen:
1 Baranzke, Heike: Wรผrde der Kreatur? Die Idee der Wรผrde im Horizont der Bioethik, Wรผrzburg: Kรถnigshausen & Neumann 2002. S. 71.
2 Ingensiep, Hans Werner: โDer Mensch ein Affe, der Affe ein Mensch? Grenzgรคnge mit Kรถhler und Plessner zwischen Primatologie und Philosophieโ, in: Weinzirl, Johannes und Peter Heusser (Hrsg.): Der Mensch, ein Tier? Das Tier, ein Mensch?, Wittener Kolloquium fรผr Humanismus, Medizin und Philosophieย 4, Wรผrzburg: Kรถnigshausen & Neumann 2016, S.ย 83โ98. Hier S. 85.
3 Thomas, Keith: Man and the Natural World: Changing Attitudes in England 1500-1800, London: Penguin Books 1984. S. 24-25.
4 Ingensiep, Hans Werner und Heike Baranzke: Das Tier, Grundwissen Philosophie, Stuttgart: Reclam 2008.
5 Ebd. S. 24-26.